Veröffentlicht am 09.03.2017, 16:09 Uhr
Die „Agenda 2010“ der rot-grünen Bundesregierung aus dem Jahr 2003 war und ist hinsichtlich ihrer sozialpolitischen Folgen umstritten. Mehr als fünf Millionen Arbeitslose gab es damals. Heute sind es nach offizieller Lesart über zwei Millionen Menschen weniger, und die Jugendarbeitslosigkeit ist die niedrigste in Europa. Dass die Agenda einen wesentlichen Anteil daran hatte, ist unbestreitbar.
Unbestreitbar ist auch, dass Deutschland besser durch die weltweite Finanzkrise der Jahre 2008/2009 gekommen ist, als viele andere Länder Europas. Deutschland hat heute die zweithöchste Beschäftigungsquote in Europa und mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als je zuvor.
Gleichzeitig hatten die Reformen einen fundamentalen Vertrauensverlust gegenüber der SPD in ihrer angestammten Wählerschaft zur Folge. Mit dem Arbeitslosengeld II wurden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die viele Jahre lang gearbeitet haben, nach nur einem Jahr Arbeitslosengeld mit denen gleichgestellt, die noch nie erwerbstätig waren. Vor allem Ältere mussten fürchten, trotz jahrzehntelanger Beschäftigung in der Sozialhilfe zu landen. Dies ist von Vielen als eine Entwertung ihrer Lebens- und Arbeitsleistung aufgefasst worden. Hinzu kam der Missbrauch von Beschäftigungsanreizen, die als Brücke in reguläre Arbeit gedacht waren, aber zu einer dauerhaften Ausdehnung des Niedriglohnsektors führten.
Die sozialdemokratische Wählerschaft erwartet aber, dass die SPD sozialen Zusammenhalt und Gerechtigkeit schafft. Stattdessen empfinden große Teile der Arbeitnehmerschaft die Politik der SPD als gegen ihre Interessen gerichtet und haben der SPD den Rücken gekehrt.
Es ist notwendig, dass wir aus problematischen Entscheidungen der Vergangenheit die richtigen Schlussfolgerungen für die Zukunft ziehen. Ich finde, dazu gehört, dass sich Menschen in schwierigen Lebenssituationen, wie z.B. Arbeitslosigkeit, auf zuverlässige und ausreichende soziale Leistungen verlassen können.
Daher ist es richtig, wenn wir mit dem sogenannten Arbeitslosengeld Q dafür sorgen, dass Arbeitssuchende länger Arbeitslosengeld beziehen, wenn sie nicht direkt eine neue Stelle finden und sich gleichzeitig weiterqualifizieren. Und ich glaube, dass von der Weiterentwicklung der Bundesagentur für Arbeit hin zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung Unternehmen und Beschäftigte gleichermaßen profitieren werden.
Die reflexartigen Reaktionen von Union und Wirtschaftsverbänden aber auch der Linkspartei können wir getrost ignorieren. Sie sind Beleg dafür, dass es ihnen in der Diskussion nicht um die Sache geht. Vielmehr ist die politische Konkurrenz überrascht, wie die SPD und Martin Schulz mit ihren Vorstellungen von gerechter Politik mehr und mehr den Nerv der Leute treffen. Mehr als Angstbeißerei fällt ihr dazu offenbar noch nicht ein.
Erschienen in der "Eckernförder Zeitung" vom 08.03.2017 als "Bericht aus Berlin" zum Thema „Korrekturen an der Agenda 2010: Ein notwendiger Schritt oder ein überflüssiges wahltaktisches Manöver?“
Homepage: Sönke Rix, MdB