Peak Oil ist jetzt!
Das Öldrama im Golf von Mexiko ist eine historische Zäsur
Von Martin Held und Michael MĂĽller
Die Explosion auf der „Deepwater Horizon", der gesunkenen Bohrinsel des britischen Ölkon-zerns BP ist nicht nur ein tragischer Unfall sondern auch `die bisher härteste Warnung endlich die Grenzen des Wachstums zu beachten Das Desaster im Golf von Mexiko entspringt der puren Not, den Produktionsrückgang in den alten ÖIfeldern durch immer riskantere Fördermethoden auszugleichen. Der Peak Oil, der Höhepunkt der Förderung, ist da. Das Zeitalter des fossi-len Verkehrs geht zu Ende.
Alles andere ist Zweckoptimismus, der den Blick auf die Realitäten verstellt. Die Schwachstelle aller Industriegesellschaften ist ihre Abhängigkeit von fossilen Energien. Obwohl die Gefahren bekannt sind, kommt es bisher nicht zu einem konsequenten Umstieg auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Stattdessen werden Lagerstätten in unwirtlichen Regionen angezapft, verbunden mit gewaltigen technischen Problemen und groĂźen ökologischen Gefahren. Deshalb steht nicht nur BP unter Druck, auch die′ amerikanische Regierung muss erklären, warum sie Tiefseebohrungen ĂĽberhaupt zugelassen hat.
In den letzten elf Wochen sprudelten täglich bis zu 40.000 Barrel - umgerechnet fast 6,4 Millio-nen Liter - Rohöl in den Golf vor Mexiko. Einige Berechnungen liegen sogar noch höher. Bis heute kann eine Entwarnung nicht gegeben werden, denn der Druck aus der Verstopfung des Bohrlochs lässt Risse im Meeresboden befürchten, aus denen viel Öl austreten kann. Und nun erreicht auch noch der erste Hurrikan der Saison 2010, Ales, die Südküste der USA.
Wir wissen, wie trügerisch der Wohlstand ist, der auf der Ausbeutung von Öl beruht. US-Präsident Jimmy Carter wollte bereits Ende der siebziger Jahre seinem ölsüchtigen Land, in dem billige Kraftstoffe und große Autos zum alltäglichen Lebensgefühl gehören, eine Entziehungskur verordnen. Mit einem nationalen Energieprogramm sollten die Importe von bis zu 16 Millionen Barrel täglich auf sechs Millionen bis 1990 gesenkt werden.
Carter scheiterte am Widerstand der sieben großen Ölkonzerne in seinem Land, die kräftig Stimmungen gegen Washingtons „Angriff auf die Freiheit der Bürger" machten. Stattdessen un-terzeichnete er 1979 die Direktive „Rapid Deployment Force" zur Bildung einer mobilen Einsatztruppe für die Golfregion, um dort die „nationalen Interessen", den Zugriff auf die Ölquellen, zu sichern. Seitdem ist die Konfliktlinie vorgezeichnet: entweder Umbau und Einsparen oder Gewalt und Verteilungskonflikte.
Das Weltreich des Verkehrs ist die Grundlage, unserer Art von Modernität. Es baut auf Ă–l auf. Deshalb bedeutet es einen tiefen Einschnitt, wenn Barack Obama nun verkĂĽndet „Die Zeiten des billigen Ă–ls sind vorbei" und die BĂĽrger seines Landes auf ein Umsteuern einstimmen will: Doch die Fakten sind eindeutig: Seit; 2005 ist die Menschheit auf dem Plateau der Ă–lförderung angelangt, die Ergiebigkeit der groĂźen Felder geht zurĂĽck. In den letzten 30 Jahren hat es an Land keine nennenswerten neuen Funde gegeben′ und sie sind nach Ansicht der Geologen auch nicht zu erwarten. Obwohl der Abbau von Teersanden, vornehm Ă–lsande genannt, der zum Beispiel im kanadischen Bundesstaat Alberta Mondlandschaften mit gewaltigen ökologischen Schäden hinterlässt, schon in die Fördermenge eingerechnet ist, konnte der RĂĽckgang der Förderung aus den alten Ă–lfeldern nicht mehr ausgeglichen werden.
Kurzum: Peak Oil ist jetzt. Der Höhepunkt der Förderung wird nicht, wie die Ölkonzerne behaupten, erst in den nächsten Jahrzehnten erreicht, selbst wenn die Funde in der Arktis und der Tiefsee - wie vor der Küste Rio de Janeiros das Tupi-Ölfeld, das mit 7.000 Meter fast fünfmal tiefer liegt als Deepwater Horizon - tatsächlich erschlossen würden. Mit der Tiefe erhöht sich: das Risiko exponentiell, Techniken zur Gewährleistung der Sicherheit in diesen Tiefen gibt es bisher nicht.
Das Endspiel des Ölzeitalters beginnt, ein historisch singulärer Umbruch, der mit der industriel-len Revolution vergleichbar ist. Eine epochale Transformation, denn Öl war in den letzten sechs Jahrzehnten der Treiber des Wachstum und einer Verschwendung, der die Entwicklung der Wirtschaft; das Bild unserer Städte und die Lebensgewohnheiten der Menschen geprägt hat. Öl wurde zur Geschäftsgrundlage der Moderne. Und immer mehr auch in den Tiefseeregionen, aus denen Ende des Jahrzehnts schon zehn Prozent der globalen Ölversorgung kommen soll. Nach üblichen Maßstäben dürften dort Bohranträge nicht genehmigt werden. Doch in der fossilen Denkwelt ist es unvermeidlich, den Anteil des Öls aus der Tiefsee ständig zu erhöhen. Das Tina-Syndrom - there is no alternative - ist der Wettlauf der Besessenen.
Wir erleben jedoch heute den Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters, nicht erst dann, wenn der „Ietzte Tropfen Ă–I" verbraucht ist, sondern wenn die wachsende Nachfrage nicht mehr durch ein steigendes Förderangebot befriedigt werden kann. Auf dem Gipfel angelangt, ist das Spiel vorbei - peak oil. Der′ Abstieg vom Gipfelbeginnt, fĂĽr das Klima ist das gut so, aber die wesentlichen Akteure sind darauf nicht vorbereitet.
Noch immer ist das Verkehrssystem nahezu ausschließlich vom Öl abhängig, ebenso die inter-nationale Arbeitsteilung, auch die Raum- und Siedlungsstrukturen und die angeblich so modernen Lebensstile. In Kürze werden eine Milliarde Fahrzeuge auf der Erde fahren - mit gewaltigen Ungleichheiten: In Deutschland kommen 560 Fahrzeuge auf 1.000 Einwohner, in China sind es nicht einmal 25 Autos. Im bevölkerungsreichsten Land der Erde kommen jährlich 10 Millionen Fahrzeuge dazu, doppelt so viele, wie in Deutschland produziert werden. In den letzten fünf Jah-ren betrug das Wachstum knapp 50 Prozent.
Die Zeit für ein Umsteuern wird extrem knapp, aber auch in unserem Land beruht der Bundes-verkehrswegeplan, das Nationale Hafenkonzept für die See- und Binnenhäfen oder das Flughafenkonzept der Bundesregierung noch immer auf der Annahme, dass weiterhin billiges, Öl reich-lich vorhanden ist. Viele behaupten, wir könnten mit nur wenig Änderungen so weiter machen wie bisher. Das ist die Kunde von Durchbrecherstrategien, beispielsweise der Initiative für Elektromobilität. Doch überlegen wir: Brauchen wir für den Nahbereich der Städte ein Fahrzeug, elektrisch angetrieben, das in weniger als vier Sekunden von 0 auf 100 Stundenkilometer beschleunigt, wie derzeit das Elektroauto „Tesla" angepriesen wird?
Der Hype zeigt, dass wir noch nicht begriffen haben, was das Ende des fossilen Zeitalters wirk-lich bedeutet: Der verschwenderische Umgang mit Ressourcen muss beendet werden, in Zukunft muss haushälterisch mit der ′Natur gewirtschaftet werden. Die Ăśberhöhung der Elektromo-bilität erweckt den Eindruck, dass alles seinen Gang nimmt und (schnell) wieder gut wird. Lassen wir einmal beiseite, dass es Batterien fĂĽr diese Art von Autos mit bisher gängigen Reichweiten noch nicht gibt. Und seltene Erden, die fĂĽr die Umstellung auf erneuerbare Energien und Antriebe unverzichtbar sind, knapp sind und kaum rezykliert werden.
Tatsächlich wird die gewaltige Herausforderung, der Umstieg vom fossilen Verkehr zur postfossilen Mobilität, zugedeckt. Dabei stellt er selbst die Krise nach dem Zusammenbruch der Lehman Brothers in den Schatten. Auf jeden Fall geht es um weit mehr als den Austausch der Brennstoffe. Der fossil angetriebene Verkehr ist genauso systemrelevant wie die Finanzwirtschaft. Es gibt keine einfache bail-out Möglichkeit mit Abwrackprämien. Und womit soll der Schiffsverkehr, das Rückgrat der internationalen Arbeitsteilung, angetrieben werden? Womit der Güterflugverkehr und der Güterfernverkehr auf den Straßen?
Doch Lösungen, die es bereits gibt, werden bislang links liegen gelassen, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Flottenverbrauchsregelungen oder Pedelecs und E-Scooters, die sofort weniger Ă–lverbrauch und geringere C02-Emissionen bedeuten, um noch nicht vorhandene „Lösun-gen" wie Elektroautos zu puschen. Oder im′ Schiffsverkehr: In wenigen Monaten ist es möglich, durch eine Senkung der Geschwindigkeiten von etwa 24 auf 19 Knoten Treibstoffeinsparungen von 30 bis 50 Prozent zu erzielen. Moderne Formen der Windenergie, mit der die Beluga experimentiert, sind zukunftsweisend.
Der Abschied vom fossilen Verkehr steht an. Das Umsteuern zu einer postfossilen Mobilität ist überfällig. Das ist weit mehr als die lautstark propagierten, nur auf Technik fixierten Lösungen. Die postfossile Mobilität geht vom Menschen aus. Zufußgehen wird nicht länger Restverkehr sein, wie in der Gedankenwelt fossiler Verkehrsplanung, sondern eine tragende Säule der Körperkraftmobilität. Fahrradfahren, das erste moderne postfossile Fortbewegungsmittel steht erst am Beginn seines Aufstiegs. In Kopenhagen, einer Stadt mit höchster Lebensqualität, ist das Fahrrad das Rückgrat des Alltagsverkehrs. „Langsamverkehr" wird wie in der Schweiz zur dritten Säule der Verkehrspolitik neben dem motorisierten Individualverkehr und dem öffentlichen Verkehr. Dafür müssen wir - ein gigantisches ökologisches Zukunftsprogramm - die verschwenderischen, ineffizienten Raum- und Siedlungsstrukturen umbauen und die Arbeitsteilung neu ordnen.
Postfossile Mobilität kann schnell Attraktivität gewinnen, wenn der Peak Oil nicht länger verdrängt wird. „Mobilitätschancen fĂĽr alle" muss die Grundorientierung werden. Der öffent-liche Raum darf nicht länger auf die Transportfunktion reduziert werden. Die Nähe gewinnt dann an Attraktivität, eine neue Balance von Schnelligkeit und; Langsamkeit, eine Kultur der Bewegung und Beweglichkeit. Nach einer Ăśbergangszeit werden wir erstaunt auf die ĂĽbermotorisierte und ĂĽbergewichtige fossile Raserei zurĂĽckblicken: Entschlossenes Umsteuern ist angesagt. It′s the end of the world, as we know it.
Wir verstehen es und fĂĽhlen uns gut dabei.
Martin Held ist Studienleiter der Evangelischen Akademie Tutzing fĂĽr Wirtschaft und nach
haltige Entwicklung; Mitautor des Buchs „Postfossile Mobilität - Wegweiser für die Zeit nach dem Peak 0il ".
Michael Müller war langjährig umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion und Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium.